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Die Spur des Verborgenen - wie Lüge und Trennung zur Wahrheit führen

„Es ist bekannt, dass nichts sich in seiner wahren Form offenbart, 

sondern nur aus seinem Gegenteil heraus.“ Rabash

Teil II

Menschen begegnen einander, sprechen miteinander, teilen Erlebtes – aus dem eigenen Leben oder dem Leben anderer. Oft fließt das Gespräch dahin, geschmückt mit Redewendungen, mit Humor, manchmal mit Halbwahrheiten. Es bleibt an der Oberfläche – und erschöpft sich schnell.

Wahrheit und Lüge lassen sich in solchen Momenten kaum unterscheiden. Denn es fehlt der innere Zusammenhang, der Ton von Bedeutung. Was gesagt wird, wirkt lose, ohne Richtung, ohne Wurzel. Man hört – aber es berührt nicht.

Doch es gibt andere Gespräche. Gespräche, in denen etwas auf dem Spiel steht. In Beziehungen, in Freundschaften, in Momenten von Verletzung oder Nähe. Und gerade da, wo es um etwas Wesentliches geht, beginnt das Sprechen eine andere Form anzunehmen.
Ein solches Gespräch sollte nicht mit Worten beginnen. Sondern mit einem Raum.

Ein Raum, in dem sich etwas zeigen darf – noch ungeformt, noch ohne Sprache, aber spürbar. Dort klingt bereits ein Wort mit, das nicht ausgesprochen wird. Ein Wort, das keinen festen Platz im Satz hat – und doch in allem mitschwingt. Manche nennen es Wahrheit. Ich nenne es einen Ursprung. Etwas, das allem vorangeht – nicht sichtbar, nicht erklärbar, aber gegenwärtig.

Wahrheit zeigt sich nicht durch das, was gesagt wird – sondern durch das, was geschieht, wenn etwas berührt wird. Sie braucht keine Beweise. Sie trägt sich selbst – als leiser Klang zwischen den Sätzen.

Die Lüge dagegen hat einen anderen Klang. Sie braucht Raum, um sich zu halten. Sie sucht nach Umwegen, nach Schutz, nach Formulierungen, die das Eigentliche verdecken. Sie rechtfertigt, ergänzt, verstärkt, schwächt ab – und genau in dieser Bewegung wird eine Spur hörbar.

Denn jede Lüge trägt den Schatten des Ursprungs in sich. Eine Richtung, die – wenn man ihr folgt – zum Kern zurückführt. Die Entfernung, die sie schafft, ist nicht das Ende – sondern oft der Anfang einer Erinnerung. Im Ausdruck der Lüge liegt ein Ruf. Ein Ruf nach dem, was verloren ging.

Wenn ein Mensch spricht – und seine Worte klingen klar, doch in der Tiefe spürst du etwas anderes – dann spricht nicht nur der Mund, sondern auch die Entfernung. Die Stimme führt über die Worte hinaus. Etwas klingt mit, das sich entziehen will. Und gerade da beginnt das wirkliche Hören.

Manche Sätze wirken wie Entfernungsmesser. Je erklärender sie werden, desto weiter scheinen sie vom Ursprung entfernt. Rechtfertigung bringt Unruhe in den Raum. Sie zeigt, dass etwas festgehalten wird, das sich eigentlich öffnen möchte.

Ein Satz, der sich erklären will, offenbart mehr als nur Gedanken. Er zeigt auch das Bedürfnis nach Vertrauen. Und Vertrauen ist wie Licht – es macht die Dinge sichtbar, nicht weil es sie verändert, sondern weil es sie sein lässt.

So wird in der Lüge manchmal das Wahre hörbar.
Nicht durch das, was gesagt wird – sondern durch das, was sich dahinter verbirgt.

Ein Mensch, der wirklich lauscht,
hört nicht nur das Gesagte.
Er spürt das, was mitschwingt.
Vielleicht auch die eigene Unklarheit.
Vielleicht die eigene Lüge.

Und genau darin kann ein Raum für Verständigung entstehen.
Für Nähe, die nicht benannt werden muss – weil sie bereits geschieht.
Die Lüge, wenn sie erkannt wird, ohne Urteil, ohne Kampf, zeigt einen Weg. Einen Weg zurück zur Berührung. Zur Empfindung. Zum Ursprung. Sie zeigt, wo etwas verschlossen war – und wo es sich nun wieder öffnen darf.

In der Tiefe jedes Wortes liegt eine Spur. Und jede Spur führt – wenn man ihr folgt – nicht in die Irre, sondern in die Tiefe. Die Lüge wird dann kein Hindernis, sondern eine Schwelle. Eine Bewegung zurück zu sich selbst.

Wahrheit braucht keine eigene Darstellung. Die Darstellung der Lüge ist bereits ihr Ausdruck. Denn in dem Moment, in dem das Verborgene sich zeigt, beginnt das Erinnern.
Ein Sprechen, das aus dieser Tiefe kommt, will nichts beweisen.
Es will erinnern.
Es spricht nicht, um zu überzeugen – sondern um zu verbinden.
Und so wird das Gespräch selbst zur Spur.
Zur stillen Bewegung, in der sich Wahrheit nicht behauptet,
sondern erscheint.

Fazit:

Dass die Lüge – so, wie wir sie erleben – kein einseitiger Akt ist, sondern ein gemeinsamer Zustand von Entfernung.
Ein Feld, das beide mitgestalten – durch Angst, Unsicherheit, Schweigen, Rollen, Erwartungen.

Der eine spricht nicht ganz aus, was in ihm lebt. 

Der andere hört nicht, was unausgesprochen geblieben ist.

Und so entsteht eine Lücke –
in der wir nicht die Wahrheit verlieren, sondern die Verbindung.